Eine Einführung in die physikalische Analyse der menschlichen Körperbewegungen unter Berücksichtigung von Impuls, Drehimpuls und Impulserhaltungssatz.
Impuls
Eine Bewegung ist in der Physik definiert als die Ortsveränderung eines Körpers mit fortschreitender Zeit bezüglich eines Koordinatensystems. Will also ein Physiker „Bewegung“ messen, muss er mit Hilfe einer Waage, eines Metermaßes und einer Stoppuhr die Masse (m) des sich bewegenden Körpers auswiegen, den Weg (s) bestimmen, den der Körper zurücklegt und die Zeit (t) stoppen, die der Körper für das Zurücklegen der Wegstrecke benötigt. Die mathematische Beziehung Masse mal Weg pro Zeit (m * s/t) gibt die „Größe“ der Bewegung wieder, der Physiker nennt sie „Impuls“ (p) und ersetzt darin den Term s/t durch die Geschwindigkeit (v), so dass die Größe der Bewegung, der Impuls, folgender Formel genügt:
[1] p = m * v (gemessen in Kilogramm mal Meter pro Sekunde, kg * m/s)
Der Impuls ist nicht nur durch seinen Betrag bestimmt, sondern wird auch durch seine Richtung charakterisiert. Physikalische Größen, die sich sowohl durch einen Betrag als auch durch eine Richtung kennzeichnen, werden vektorielle Größen genannt.
Man betrachte z. B. 2 Sprinter, von denen der erste 60 kg und der zweite 70 kg
wiegen soll, die aber beide mit der gleichen Geschwindigkeit von 10 m/s
nebeneinander in Richtung Ziel sprinten (Abb. 1). Sie besitzen - trotz gleicher
Geschwindigkeit - unterschiedliche Impulse (2); das bedeutet: ihre Bewegung Richtung
Ziel ist unterschiedlich "groß". Der eine Sprinter verfügt über den Impuls
p1 = 600 kg * m/s,
der andere Sprinter über den Impuls
p2 = 700 kg * m/s.
Die Richtungen der Impulse p1 und p2 sind durch die Laufrichtung festgelegt. Bildlich lassen sich Impulse als Pfeile darstellen (Abb. 1), die in die Bewegungsrichtung zeigen und deren Längen sich wie ihre Beträge zueinander verhalten müssen.
Impulserhaltungssatz
Nun gilt für die Bewegung aller Körper das Naturgesetz von der Erhaltung der Impulse. Dieses Gesetz besagt, dass der Betrag und die Richtung des Impulses eines Körpers erhalten bleiben, solange nicht von außen Kräfte auf den Körper einwirken. Man kann auch sagen, daß nur Kräfte, die von außen auf einen Körper einwirken, die Geschwindigkeit und die Richtung der Bewegung eines Körpers ändern können. Die Bedeutung dieses Gesetzes läßt sich am besten am Beispiel eines Astronauten (Abb. 2) erläutern, der sich - im Zustand der Schwerelosigkeit - außerhalb seiner Raumkapsel befindet und der (was nur in unserer Vorstellung geschehen möge) durch eine ungeschickte Bewegung seinen Körper von der Raumkapsel abgestoßen hat. Die Kraft, die zwischen seinem Körper und der Raumkapsel gewirkt hat, ist die Ursache für den Impuls (3), mit dem der Astronaut sich mit konstanter Geschwindigkeit und unveränderbarer Richtung von der Raumkapsel fortbewegt (Abb. 2). Da jetzt keine Kräfte mehr zwischen seinem Körper und anderen Körpern (Raumkapseln, Sternschnuppen, Monden usw.) wirken können, nennt man seinen Körper ein kräftefreies System. Das soll nicht heißen, der Astronaut könne in diesem Zustand seinen Bizeps nicht kräftig anspannen, etwa um sich ob seines Missgeschicks vor den Kopf zu schlagen. Aber diese Kraft kann, da sie nur zwischen Teilkörpern des Astronautenkörpers wirkt, den Betrag und die Richtung des Impulses des Astronautenkörpers nicht ändern.

Abb. 2 Darstellung des Impulserhaltungssatzes. pG Gesamtimpuls. pH Teilimpuls „Hammer“. pAoH Teilimpuls „Astronaut ohne Hammer“
Ist nun das Schicksal des Astronauten, der sich langsam aber stetig von der Raumkapsel fort bewegt, endgültig besiegelt? Kann er überhaupt nichts tun, um wieder zurück an die Raumkapsel zu gelangen? Nun, ganz so hoffnungslos ist es nicht! Nehmen wir an, der Astronaut trage einen schweren Hammer bei sich, mit dem er an der Raumkapsel defekte Nieten hat festschlagen müssen. Stößt er diesen, so kräftig er kann, in die Richtung, in die er sich - von der Raumkapsel fort - bewegt, so kann er unter bestimmten Voraussetzungen seine Bewegung von der Raumkapsel weg stoppen und in eine Bewegung zur Raumkapsel hin umändern. Um einzusehen, dass hier der Impulserhaltungssatz nicht „auf den Kopf gestellt wird', müssen folgende in Bezug zur Raumkapsel beobachtbaren Impulse betrachtet werden (Abb. 2):
- Der Gesamtimpuls pG des Astronauten, zusammen mit allen Objekten, die er bei
- sich trägt, einschließlich des Hammers,
- der Impuls pH des Hammers nach der Wurfaktion des Astronauten,
- der Impuls pAoH des Astronauten ohne Hammer (3).
Nach dem Impulserhaltungssatz muß der Impuls pG nach Betrag und Richtung
erhalten bleiben. Da aber die Impulse pH und pAoH zusammen den Impuls pG ergeben,
braucht der Impuls des Hammers (pH) nur einen Betrag zu erhalten, der größer als der
Betrag des Gesamtimpulses ist, um den Impuls des Astronauten ohne Hammer (pAoH)
negativ werden zu lassen, was bedeutet, dass er dem Impuls des Hammers
entgegengerichtet ist, den Astronauten also wieder zur Kapsel zurückbewegt
(Abb. 2c). Die vektorielle Addition des Impulses des Hammers von der Raumkapsel
weg und des Impulses des Astronauten zur Raumkapsel hin ergibt in der
Gesamtbilanz einen Impuls (pG) des Systems „Astronaut plus Hammer“ in der
ursprünglichen Größe und Richtung (4):
[2] pH + pAoH = pG
Generell läßt sich feststellen: Wird im Körper A ein Impuls erzeugt, muß in einem Körper B, von dem sich Körper A abstößt, ein gleich großer, aber entgegengerichteter Impuls entstehen, wobei sich die Geschwindigkeiten der Körper umgekehrt proportional verhalten wie ihre Massen, oder - allgemeiner ausgedrückt - ein Impulsgewinn des Körpers A ist stets mit einem gleich großen Impulsverlust des Körpers B verbunden, bewirkt durch einen Stoß (Kraftstoß = Kraft mal Wirkungszeit der Kraft, F * t) zwischen Körper A und Körper B (5).
Drehimpuls
Diese Gesetze gelten generell auch für Drehbewegungen. Ist bei einer geradlinigen
Bewegung (6) die Größe der Bewegung durch die Beziehung „Masse mal
Geschwindigkeit“ bestimmt, so gilt für die Größe der Drehbewegung die Beziehung
Drehmasse mal Drehgeschwindigkeit. Die „Größe der Drehbewegung“ heißt in der
Physik Drehimpuls (L), die Drehmasse wird Trägheitsmoment (I), die
Drehgeschwindigkeit wird Winkelgeschwindigkeit (w, Omega) genannt,
[3] L = I * w (Drehimpuls = Trägheitsmoment mal Winkelgeschwindigkeit).
Will ein Physiker den Drehimpuls eines Körpers bestimmen, benötigt er neben der
Waage und der Stoppuhr einen Winkelmesser, um zu messen, um weichen Winkel
sich der Körper in der Zeit dreht. Er kann aber auf das Bandmaß nicht etwa verzichten,
sondern benötigt dieses, um die Drehmasse (das Trägheitsmoment) zu bestimmen.
Der Betrag des Trägheitsmomentes hängt nämlich nicht nur von der Masse (m) ab,
sondern auch vom Abstand (r) der Masse von der Drehachse, genauer: vom Quadrat
des Abstandes der Masse von der Drehachse. Die Formel [3] läßt sich also auch wie
folgt schreiben:
[4] L = m * r² * w (gemessen in Kilogramm mal Meter zum Quadrat mal Grad pro Sekunden,
kg * m² * °/s).
Als erläuterndes Beispiel sollen vier Turner betrachtet werden, die nebeneinander an einem Reck eine Riesenfelge turnen, also eine Drehbewegung ausführen (Abb. 3).

Abb. 3 Darstellung von Drehimpulsen unterschiedlicher Beträge und der Bestimmung der Richtung des Drehimpulsvektors
Bewegen sich Turner A (60 kg) und Turner B (70 kg), beide gleich groß, mit der gleichen Winkelgeschwindigkeit, ist der Drehimpuls des Turners B aufgrund der größeren Masse größer. Hat Turner C ebenfalls die Masse 70 kg, ist er jedoch größer als Turner B, hat er bei gleicher Winkelgeschwindigkeit einen größeren Drehimpuls, weil Teile seines Körpers weiter von der Drehachse, der Reckstange, entfernt sind, also sein Trägheitsmoment (1) größer ist. Turner D soll nun die gleiche Masse und gleiche Körpergröße wie Turner A besitzen und in ebenfalls gleicher Winkelgeschwindigkeit turnen. Da er aber die Schulter- und Hüftgelenke gewinkelt hält, Teile seiner Körpermasse sich also näher an der Drehachse befinden als bei Turner A, ist sein Drehimpuls aufgrund des kleineren Trägheitsmomentes kleiner als der Drehimpuls des Turners A.
Auch Drehimpulse sind gerichtete Größen. Der Vektor wird nach offizieller Übereinkunft in die Drehachse verlegt und weist bei einer Drehbewegung im Uhrzeigersinn vom Betrachter weg, bei einer Drehung gegen Uhrzeigersinn auf den Betrachter zu. Am leichtesten läßt sich die Richtung des Drehimpulsvektors mit den Fingern der rechten Hand demonstrieren wie Abb. 3 darstellt. Ebenso gilt für den Drehimpuls sinngemäß der Impulserhaltungssatz.
Anmerkungen
- (1) Durch die Angabe der Drehrichtung („vorwärts“, „rückwärts“) ist bei Berücksichtigung ihrer sportbzw. turnsprachlichen Bedeutung die Breitenachse als Drehachse eindeutig festgelegt.
- (2) Tatsächlich läßt sich der Impuls eines Sprinters nur grob angenähert in dieser Weise bestimmen. Die Zusatzbedingungen der wellenförmigen Bewegung des Schwerpunktes, der unterschiedlichen Rotationen der Gliedmaßen u. a. m. sollen hier unberücksichtigt bleiben. Ähnliches gilt für die weiteren Aussagen zur Größe der Impulse und Drehimpulse der angeführten Beispiele.
- (3) Aus dem vorgeschalteten Text geht hervor, daß die Koordinaten dieses Impulses an der Raumkapsel „festgemacht“ sind.
- (4) Die erzeugte Kraft ist in bezug auf das Gesamtsystem „Astronaut plus Hammer“ eine innere Kraft, in bezug auf den Astronautenkörper und in bezug auf den Hammer eine äußere Kraft. D. h. der Schwerpunkt des Systems „Astronaut + Hammer“ bewegt sich mit der ursprünglichen Geschwindigkeit und Richtung von der Raumkapsel fort.
- (5) Impulsänderungen gehorchen generell dem gleichen Prinzip. Von „Rückstoß“ spricht man in der Regel, wenn sich der Beobachter nicht mit einem der beteiligten Körper mitbewegt.
- (6) Exakter wäre der Begriff „Translation“. Die definitorische Abgrenzung von Translation und Rotation soll hier jedoch verschwiegen werden.
- (7) Dies gilt nur für eine punktförmig im Schwerpunkt konzentrierte Masse, was die Art der Darstellung in Abb. 3 andeuten soll. Das Trägheitsmoment physikalischer Körper wird nach dem STEINERschen Satz berechnet, was aus didaktischen Gründen hier nicht abgeleitet werden soll.
- (8) Im Trampolinturnen werden allerdings Drehungen um die Längsachse im Laufe von Schlußsprüngen auf andere, hier nicht zur Debatte stehende Weise, erzeugt.
- (9) Berechnet nach dem STEINERschen Satz (s. z.B. BERGMANN/SCHAEFER.' Lehrbuch der Experimentalphysik. Bd. 1, Berlin 91974. S. 98ff.): Die beteiligten Teilkörper sind zur Berechnung der Trägheitsmomente auf Zylinder mit geschätzten Massen und gemittelten räumlichen Abmessungen reduziert.
Quelle: Dr. Klaus Wiemann "Das Phänomen der Scheinrotation"; Sportunterricht, 36 (1987) 11: 409 - 423