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Chronische Muskelzerrungen können durch wiederholte Verletzungen entstehen, wenn man einen Muskel durch immer wiederkehrende Bewegungen belastet. Häufig sind die Muskeln im Oberschenkel oder der Wade betroffen.

Eine spezielle, sehr häufig auch im Langstreckenlauf anzutreffende Symptomatik ist die chronische Muskel-Zerrung ("Chronic Muscle Tear", CMT). Der Begriff wird vom südafrikanischen Professor Timothy Noakes in seinem Klassiker "Lore of Running" (1985) ausführlich erwähnt und beschrieben. Nach Pinshaw handelt es sich hierbei um die dritthäufigste Verletzung im Laufbereich.
In der offiziellen Fachliteratur findet sie kaum Erwähnung, zumindest nicht unter diesem Begriff.

In einer aktuellen modernen Klassifikation (Müller Wohlfahrt, "Muskelverletzungen im Sport" Thieme-Verlag, 2012) werden Muskelbeschwerden in vier Typen unterteilt. Einfach übersetzt in Muskel-Verhärtungen, sogenannte Muskel-Zerrungen, sowie kleine und große Risse der Muskulatur.

Die CMT erfüllt alle Voraussetzungen einer sogenannten Muskelzerrung: Sie tritt in der Mitte eines grossen Muskels auf; Faserrisse dagegen eher in der Nähe der Sehnenansätze an beiden Enden des Muskels. Für jede Form von "sogenannten Muskelzerrungen" schreibt Dr. Müller Wohlfahrt:

„..innerhalb weniger Schritte...oder auch weniger Minuten, (kommt es) zu einem Anstieg des Muskeltonus. Der Muskel wird unelastisch; es tritt meistens ein krampfähnlicher Schmerz auf, der sich anfangs nicht akut zeigt. ... Oft versucht der Sportler, die erhöhte Muskelspannung selbst zu lösen, indem er das betroffene Bein ausschüttelt. Eine Lockerung, also ein Nachlassen der Spannung und der Schmerzen, lässt sich (im Gegensatz zu einem echten Waden-Krampf) jedoch meist nicht mehr erreichen.... Klinisch findet sich...weder eine Kontur-Unterbrechung oder Blutung, noch ein puktförmiges Schmerzzentrum wie beim Faserriss. Vielmehr eine spindelförmige, aufgequollene Zone infolge der Tonusdysregulation, die nur einen bestimmten Muskelabaschnitt berifft.”

Im Verlauf der Stunden und Tage nach dem ersten Schmerz, versucht der Körper sich selbst zu helfen und den betroffenen Muskelbereich "von der Arbeit frei zu stellen" Der zugehörige Bewegungsablauf wird unbewußt geändert. Andere Muskelpartien und Nachbar-Muskeln werden nun mit Mehrarbeit belastet und reagieren mit Verspannung. In den Nachbarregionen entstehen sogenannte Trigger-Punkte, Nachbargelenke können in der Beweglichkeit schmerzhaft eingeschränkt werden und so entstehen sogenannte Blockierungen. Diese Begleit-Überlastungen können zu Faszien-Verklebungen führen. So entsteht das Vollbild eines sogenannten "Myofaszialen Schmerzsyndroms" Wird nun das Beschwerdebild durch korrekte Behandlung nicht aus der Welt geschafft, wird es chronisch und kann sich u. U. lebenslang festsetzen: Bei normalen Alltagsbelastungen bestehen keine Auffälligkeiten, aber bei forcierter muskulärer Belastung kommt es zu erneuter Verspannung und akutem Schmerz.

Was passiert genau im Inneren der Muskeln?

Die überforderten Muskelfasern treten in den (Stoffwechsel-)Streik, rollen sich ein wie ein Igel bei Gefahr. So entstehen die fühlbaren, steinharten Muskel-Knoten. Bildlich gesprochen geschieht das Gleiche, wie bei einem Pferd, das einen Sprung über ein Hindernis verweigert. Ähnlich sollen sich Muskelfasern (aus Angst vor Verletzung?) das Zusammenund Auseinanderziehen verweigern.

Wie ist nun die schnellstmögliche und erfolgreiche Behandlung einer chronischen Muskelzerrung?

Die Möglichkeiten mit technischen Hilfsmitteln die exakte Diagnose zu stellen sind sehr beschränkt und die korrekte Behandlung ist eine Frage des Gefühls und der Erfahrung des Behandlers. Im richtigen Leben behandeln normal ausgebildete Ärzte und Physiotherapeuten die CMT zunächst einmal pauschal mit der Verdachtsdiagnose Muskelverhärtung.

Patient und Behandler wundern sich, dass die schmerzhaften Muskelknoten immer wieder an gleicher Stelle wiederkommen, nachdem das ernsthafte Training wieder aufgenommen wird.

Prof. Noakes schreibt, dass die Behandlung mit Tabletten, (Cortison-)Spritzen und der üblichen Palette der konservativen Orthopädie und Physiotherapie sinnlos ist und nur Zeitverschwendung.

Er empfiehlt als einzige erfolgreiche Therapiemassnahme die Anwendung einer speziellen Massage-Technik, der Querfriktionen nach Cyriax Mancher Sportler bezeichnet diese Therapieform als sadistisch. Nach jeder qualvollen Behandlung verspürt der Patient bis zu drei Tagen Muskelkater. Allerdings gelingt es mit einer Serie von 5-10 Behandlungen von je 10 min dieser äußerst schmerzhaften Massageform, die streikenden Muskelfasern tatsächlich wieder zu ihrer normalen Arbeitsweise zu "überreden".

Versteht man die CMT als eine Form des "Myofascialen Schmerzsyndroms", so gelingt die Lösung des Problems mit etwas weniger Behandlungschmerzen als mit den Querfriktionen. Hierfür verwendet man in der manuellen Therapie die "Triggerpunkt-Massage" Dabei wird jeder einzelne verhärtete Muskelbereich durch konstanten Fingerdruck solange komprimiert, bis der Druckschmerz nachlässt und der schmerzhafte Knoten sich von selbst auflöst. Auch das ist kein Zuckerschlecken, jedoch erträglicher als die Querfriktionen. Etwa 10 Sitzungen von Triggerpunktmassage innerhalb von drei Wochen sind zumeist notwendig. Auch hier ist Muskelkater nach der Behandlung zu erwarten.

Zwischen den Behandlungen wird die Wiederentstehung der "Verknotungen" durch Kinesio-Tapes, Wärme/Kälte-Anwendungen, gezieltes Stretching und manchmal auch den kurzfristigen Einsatz von muskelentspannenden Tabletten (Muskel relaxantien oder Myotonolytika) erreicht. Läuft der Muskel wieder "rund", ist natürlich eine nur vorsichtige Steigerung von Tempo und Umfang sinnvoll, um einen Rückschlag zu verhindern.

Spritzen

Auch "spritzende Ärzte", insbesondere im Hochleistungssport, haben oft Erfolge bei der Beseitigung von CMT's.

Direktes Anspritzen der Verhärtungen mit einem lokalen Betäubungsmittel, (wie beim Zahnarzt) oder anderer "Geheim-Rezepturen" und anschließende konsequente Physiotherapie/Krankengymnastik führen (oft schneller) auch zum Erfolg. Auch das "Anstechen" der Trigger-Punkte mit Akupunktur-Nadeln (Dry-Needle-Technik) soll ähnlich gute Erfolge bringen.

Für den normal sterblichen Läufer, ist es allerdings schwierig, Termine bei solch einem ausgebildeteten, erfahrenen Arzt zu bekommen. Die Kosten werden in der Regel nicht von den allgemeinen Krankenkassen übernommen.

 

Quelle: www.derlaufdoktor.de / Dr. Tasso Vounatsos